alle Buchempfehlungen
Zwischen den Zeiten leuchtet der Schnee
von Wiete Lenk
Gmeiner Verlag
IBSN 978-3-8392-0522-8
24 €
„Ohpa Anselm“ ist gestorben. An einem Januarmorgen im Jahr 1967. Im Erzgebirge. Es schneit unaufhörlich. Die Leichenträger kommen, wuchten den Sarg in den schwarzen Lieferwagen, fahren los, bleiben stecken und bringen „Ohpa“ im Sarg zurück in den Hausflur. „Ohme Hanna Jo“ bietet Kaffee und Kuchen an und später viel, sehr viel Schnaps.
Die achtjährige Enkeltochter beäugt alles mit großer Skepsis – vor allem den „Tjatjatja-Mann“. Und mit schwerem Herzen, weil sie so viel mit „Ohpa“ verbindet. Die Großmutter sucht derweil Trost und erzählt die Geschichte der Familie, einer sächsisch-erzgebirgischen Fabrikantenfamilie.
Ein großartiger historischer Roman deutscher Geschichte, fesselnd, mit viel Witz und Wärme erzählt. Von dem ich mir beim Zuklappen wünschte, er sei doch bitte noch nicht zu Ende. Absolut verfilmenswert!
Märkte in aller Welt
von Maria Bakhareva / Illustration: Anna Desnitskaya
Gerstenberg Verlag
IBSN 978-3-8369-6123-3
26 €
Vor unserer Ladentür findet bekanntermaßen dreimal wöchentlich das Markttreiben im Herzen Wittens statt. Da liegt es nahe, dass wir uns einmal anschauen wollen, wie es auf anderen Märkten zugeht, und das gleich „in aller Welt“.
Hierfür hat der renommierte Gerstenberg Verlag dieses Jahr einen großformatigen, bunten „Reiseführer“ für Menschen ab 10 Jahren ins Programm genommen. Wunderschön illustriert und sehr informativ! Jede Seite so strukturiert, dass das Auge „Lust hat“, Informationen zu entdecken und aufzunehmen.
Die Autorin lebt in Ungarn, die Illustratorin in Israel. Sie stellen Märkte in zwölf Ländern vor: deren Historie, Angebote, was sich hieraus Landestypisches zubereiten lässt, wo die Märkte zu finden sind, wann sie geöffnet haben und wie sie aufgebaut sind. Und vieles mehr!
Ein tolles 80-seitiges gebundenes Familienbuch – für eine gemeinsame Reise vom Küchentisch aus! Und – mit einem Zwinkern angefügt – wer weiß, vielleicht findet sich für die Zuständigen in unserer Stadt die ein oder andere Anregung für die Neugestaltung unseres Wittener Wochenmarktes!?
Die Einladung
von Emma Cline
Hanser Verlag
IBSN 978-3-446-27757-1
26 €
Autorin Emma Cline entführt uns in ihrem Roman „Die Einladung“ an die Ostküste der USA, genauer gesagt in die Hamptons. Im Mekka der Superreichen hat die junge Protagonistin Alex Zuflucht vor ihren Problemen gefunden. Ihr Freund Simon hat sie in sein Sommerhaus eingeladen.
Alex verbringt die Tage am Strand und abends begleitet sie den älteren Mann auf Cocktailpartys oder zu Geschäftsessen. Für Alex könnten die Tage einfach immer so weitergehen, doch nach einem Fehltritt beim Dinner setzt Simon Alex vor die Tür: Denn keine Einladung gilt für immer, vor allem, wenn man nicht wirklich zum Kreis der Reichen und Schönen gehört.
Alex kann nicht zurück nach Hause und beschließt, Simon am Ende der Woche bei seiner Gartenparty zurückzugewinnen. Dabei driftet sie ziellos durch die Hamptons. Sie erschleicht sich Übernachtungen, Nahrung und Geld. Man bangt mit Alex, hofft, dass sie nicht erwischt wird, und stellt sich die Frage: Wird es die junge Frau am Ende der Woche zur Party schaffen? Ein spannender Hochstapler-Roman, der soziale Ungerechtigkeit und patriarchale Machtstrukturen meisterhaft vorführt.
Der Gärtner von Wimbledon
von Jane Crilly
Kampa Verlag
IBSN 978-3-311-10046-1
22 €
Vorab: Sie müssen kein Tennisfan sein, auch kein Gartenfreund oder Gartenfreundin! Darum geht es im Grunde nicht.
Es geht um die Entdeckung der Liebe, das Finden eines Menschen, dem sich ein junger Mann aus tiefstem Herzen verbunden fühlt. Über alle Standesgrenzen hinweg. Zumindest die tiefe Sehnsucht danach. Evans, der Sohn des Gärtners von Wimbledon, liebt Rose, die Tochter der Familie Blake, zu deren Hauspersonal er gehört.
In ihrem Debütroman erzählt die englische Autorin von der besonderen Freundschaft dieser beiden Teenager im Jahr 1938 – bis der Zweite Weltkrieg sie endgültig trennt. Durch eine geschickte Einleitung nährt Jane Crilly die Neugier auf diese fesselnde Liebes- und Familiengeschichte. Aus dem Blickwinkel eines heranwachsenden Mannes, dessen Rückblick uns letztendlich auch die Schrecken dieses Krieges vor Augen führt.
Hab keine Angst, kleines Dunkel
von Peter Vegas
Aladin Verlag
IBSN 978-3-84890-203-3
14 €
Wer hat Angst vorm Dunkeln?
Bestimmt niemand mehr, der dieses fröhlich illustrierte Bilderbuch gelesen hat!
Denn das kleine strubbelige Dunkel aus Peter Vegas und Benjamin Chauds Geschichte ist sehr liebenswert. Es ist hier nämlich mal andersrum: Das kleine Dunkel hat selbst schre-ckliche Angst vor Licht und kommt deswegen nur nachts heraus. Aber nachts sind die meisten Menschen in ihren Häusern und schlafen. Das macht es dem kleinen Dunkel natürlich besonders schwer, Freunde zu finden. Auch Abenteuer zu erleben ist furchtbar schwer, wenn man nachts gar nichts sieht. Zum Glück gibt es aber einige Dinge, die das Dunkel mögen. Wer das wohl sein mag? Das können dann alle Kinder und Erwachsenen selbst heraus-finden!
Eine etwas andere Gutenachtgeschichte für Kinder ab 4 Jahren, bei der die Angst vorm Dunkeln ganz schnell verflogen ist.
Das Lied des Achill
von Madeline Miller
Eisele Verlag
IBSN 978-3-96161-082-2
16.99 €
Mit griechischer Mythologie hatte jeder von uns schon zu tun. Die Geschichten von Hel-den wie Odysseus, Jason oder Meda lernen wir schon in der Schule kennen. Spätestens seit Brad Pit als Achill auf der Lein-wand um die schöne Helena kämpfte hat Homers Odysee neue Fans gewonnen. Auch in Madeline Millers Roman „Das Lied des Achill“ geht es um den bekannten Heldenstoff, in dem der Halbgott Achill an der Seite von Odysseus vor Troja kämpft. Warum also noch ein Buch über dieses Thema lesen? Kurze Antwort: Weil es un-glaublich Spaß macht! Die Au-torin erzählt aus einer völlig neuen Perspektive aus Achills Leben. Im Vordergrund steht nicht Achill als sagenumwo-bender Krieger, sondern seine Kindheit am Hofe, seine Jugend und vor allem die große Liebes-geschichte zwischen Achill und Patroklos. Patroklos ein unbe-holfener junger Prinz wird aus seinem Heimatland verbannt und am Hofe von Achills Vater aufgenommen. So wachsen die Prinzen zusammen auf und fin-den ihre Liebe zueinander. Als sie in den Krieg ziehen, ahnen sie nicht, dass das Schicksal ihre Liebe herausfordern und ihnen ein schreckliches Opfer abverlangen wird. Eine Empfehlung für alle, die offen sind für Neuinterpretationen bekannter Mythen und eine bewegende Liebesgeschichte zweier Männer.
Geschichten von Peter Hase und seinen Freunden
von Beatrix Potter
Reclam Verlag
IBSN 978-3-15-011441-4
14 €
Das Leben der englischen Kinderbuchautorin und Illustratorin Beatrix Potter dürfte den Wenigsten bekannt sein. Dafür umso mehr die von ihr geschaffene Figur des Hasens namens „Peter“ – eben: „Peter Hase“. Die 1866 in London geborene Schriftstellerin beglückt mit dieser Figur bereits Generationen. Erstmals erschienen im Jahr 1900 beim britischen Verlag Frederick Warne & Co. zählen ihre wunderschönen, zeitlosen Illustrationen und kurzen Texte zu den Lieblingsbüchern vieler kleiner und großer LeserInnen auch in der heutigen Zeit.
Leider meldet der Verlag die Ausgabe „Ostern mit Peter Hase“ als vergriffen. Doch die Abenteuer der vier kleinen Hasenkinder Flopsy, Mopsy, Watteschwänzchen und eben Peter sind mehr als ein tröstlicher Ersatz. Diese jüngst erschienenen Ausgabe vom Reclam Verlag mit der Neuübersetzung der Autorin Bettina Wilbert macht auch in seiner hochwertigen Form (klein, leinengebunden, schöner Farbdruck) dem Klassiker alle Ehre.
Ans Herz legen möchte ich abschließend: Werfen Sie doch einmal einen Blick in Wikipedia, das eine lesenswerte Übersicht über Potters Leben und Werk bietet.
Frauen. Vom Mut, die Welt zu verändern
National Geographic Buchverlag
IBSN 978-3-86690-701-0
55 €
Dieser Prachtband tut einfach gut! Mehr als 300 fantastische Frauenporträts aus den Archiven des renommierten Verlags National Geographic zu den Themen: Freude, Schönheit, Liebe, Weisheit, Stärke und Hoffnung. Eine Zeit- und Weltreise von 130 (!) Jahren, festgehalten von weltbekannten FotografInnen rund um den Erdball. Angereichert mit Interviews u.a. mit Oprah Winfrey, Jane Goodall und Nancy Pelosi – in lesefreundlicher Großschrift gehalten (bei den Bildunterschriften muss schon mal die Lesebrille gezogen werden).
Meine Anwendungsempfehlung:
Besorgen Sie sich einen stabilen Buchständer und stellen Sie das 399-seitige, große gebundene und recht schwergewichtige Buch darauf. Lassen Sie an einem schönen Ort in Ihrer Wohnung jeden Tag ein neues Bild auf sich wirken. Fangen Sie am Ende wieder von vorne an! Sie sehen mit Sicherheit vorher Nichtentdecktes und neue Aspekte.
Die pure Lese- und Schaulust!
Ich liebe eine Tigerente
von Janosch
Reclam Verlag
IBSN 978-3-15-014320-9
6 €
Wer kennt sie nicht aus seiner Schulzeit, die Büchlein des renommierten Verlages aus der Reihe ‚Reclams Universal-Bibliothek‘: Gelb, kartoniert und etwa handgroß. Nun ist Reclam auf den Janosch gekommen! Beschert uns in bekannter Form, gedruckt von der C.H. Beck-Druckerei (!), Janosch in drei Ausgaben. Hier, aus anstehendem Anlass ausgewählt: „Ich liebe eine Tigerente“. Mit Günter Kastenfrosch und eben „seiner“ Tigerente (hat sie dem kleinen, von allen geliebten Tiger geraubt!). Untertitel „Kleiner Beziehungsberater“. Auch fiese, eitle Kerle wie der Frosch wollen ihre Angebetene für sich gewinnen und ihnen ihre Liebe vor die Füße legen, auch wenn diese nicht erwidert wird (Holzente bleibt Holzente).
Vom Meister höchst persönlich illustriert und einem recht ausführlichen Nachwort von Wolfgang Schmidbauer.
Für einen Valentinstag mal nicht mit Rosenduft und Kerzenschein, sondern mit ironischer Würze á la Janosch zum Thema aller Themen: der Liebe!
Die schamanische Kraft im Alltag
von Cambra Maria Skadé
Arun Verlag
IBSN 978-3-86663-116-8
18 €
Fürwahr: Gewagt! Eine Entdeckung abseits dessen, was in meinem Lesekorb liegt. Lassen auch Sie sich von dem „Schamanischen“ nicht irritieren.
Die Autorin ist ein wahres Wunderwesen: Ideenentwicklerin, Wortschöpferin, Illustrationskünstlerin, das Alltägliche aus allen Perspektiven Betrachtende.
Vom Winter angefangen nimmt sie uns mit durch das Jahr und durch ihr Haus, in ihr Dorf und ihr Leben mit all seinen Alltagstätigkeiten. Erfrischend gegen den Strich gebürstet. Die Lektüre ihrer augenzwinkernden Betrachtungen bewirkt an vielen Stellen ein inneres Nicken (ja, so ist es) oder ein Aufatmen (ah, so kann das auch gesehen werden). Ihre Illustrationen: überbordend fantasievoll. Eben eine Künstlerin UND Geschichtenerzählerin! Nur Mut: Schauen Sie einfach mal rein. Sie werden es nicht so leicht aus der Hand legen!
Das Glück auf der letzten Seite
von Cathy Bonidan
Zsolnay Verlag 2022
IBSN 978-3-442-49215-2
23 €
Die Verlegerin Anne-Lise Briard entdeckt in ihrem Hotelzimmer ein Manuskript unbekannfter Herkunft und macht sich auf die Suche nach dessen Verfasser. Ihre Briefwechsel ziehen immer weitere Kreise, immer mehr Fäden, sprich Menschen, werden verwoben. Mit all ihren Sehnsüchten. Ein intelligenter Roman, den ich nicht aus der Hand legen mochte. Mit glaubwürdigen Charakteren, voll philosophischer Tiefe und Schmunzeln über allzu menschliche Animositäten. Stimmig aus dem Französischen von Ina Kronenberger übersetzt (von einer kleinen Ausnahme abgesehen).
Ein Buch zu dem ich zwei Ratschläge gebe: Erstens sich nicht von Cover und Titel abschrecken lassen – es ist durchaus ein Buch für Männer und Frauen reifen Alters! Und zweites: Sich zurückziehen und in einem Rutsch lesen!
TH1RT3EN
von Cavanagh
Goldmann 2022
IBSN 978-3-442-49215-2
13 €
Thriller mal ganz anders! Statt zu rätseln, weiß man hier von Anfang an, wer der Mörder ist. Trotzdem mag man das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen. Der Filmstar Bobby Solomon wird beschuldigt, seine Frau und den Bodyguard ermordet zu haben. Er beteuert seine Unschuld, aber alles spricht gegen ihn. Seine ganze Hoffnung ruht auf Strafverteidiger Eddie Flynn. Der glaubt Bobby. Bei seinen Recherchen stößt Flynn bald auf Widersprüche. Mit seinen unkonventionellen Methoden kommt er dem hochintelligenten, eiskalten Serienkiller Joshua Kane auf die Spur. Dieser ist nach monatelanger Planung als Geschworener Teil der Jury im Prozess gegen Bobby. Bis zum Schluss fiebert man mit. Fragt sich, ob Flynn es schafft, den Killer zu überführen und damit Bobbys Unschuld zu beweisen. Oder wird Joshua Kane wieder davonkommen? Dieser Thriller hat mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt. Nichts ist wie es scheint. Alles kommt anders, als man denkt.
Der Buchspazierer
von Carsten Henn
Pendo Verlag
ISBN 978-3-86612-477-6
14 €
Eine Hommage an die Welt der Bücher! Und an all jene, die uns auch in Krisenzeiten mit diesem besonderen „Lebensmittel“ versorgen.
Der betagte Protagonist Carl Kollhoff liefert seinen Kunden seit jeher die bestellten Bücher vor die Haustür. Er folgt seiner festgelegten Routine und hält sich strikt an die Regel, sich nicht in das Leben seiner Kund*innen einzumischen. Sein geordnetes Leben ändert sich schlagartig als die neunjährige Schascha auftaucht. Sie weicht ihm nicht mehr von der Seite und stellt auf ihre kindliche Art Fragen, die sowohl Herrn Kollhoff als auch seine Kundschaft mit sich selbst konfrontieren.
Ein Buch über das Geschenk geschriebener Worte und den Wert von Freundschaft. Eine Einladung zum Lesen, Lachen, Weinen und Nachdenken.
Ein sanft wogendes Buch, das sich liest wie ein schöner Sonntagsspaziergang.
Merit und das Rätsel um die Brust
von Ineke Naendrup
Kid Verlag 2022
ISBN 978-3-947759-96-5
12 €
„Busen“ – den haben nur Frauen! Klar! – Klar? Was ist mit „Brüsten“? Haben Männer Brüste? Oder eine Brust?
Doch fangen wir ganz klein an: Da ist Merit, vermute 8 oder 10 Jahre alt. Sie genießt den Sommer mit ihren Freunden, wie gewohnt in Badehose, bis sie aus hei-terem Himmel von einem gleichaltrigen Knirps ange-blafft wird, man sehe ja ihre Brüste. Oh Schreck! Völlig irritiert macht Merit sich auf und erkundet ihre Welt. Mit eben dieser „Brüstebrille“!
Mit treffsicherem Stift illu-striert, gespickt mit kleinen witzigen Details, verhilft die Autorin Merit und uns zu Erkenntnissen rund um das, was nur bei Frauen eine solche Bedeutung hat und zum schicklichen Verstecken nötigt. Ein Heft mit ausgewogenen Text-Bild-Anteilen, das sehr viel mehr für Klein und Groß zu bieten hat, als es auf den ersten Blick vermuten lässt: Es regt auf humorvolle Weise zum Nachdenken, zum Miteinander-ins-Gespräch-kommen an über ein teilweise noch immer schambehaftetes Thema!
Tagebuch eines Buchhändlers
von Bythell, S.
btb Verlag
ISBN 978-3-442-71865-8
11 €
Löst die Vorstellung, die Zeit inmitten von Büchern zu verbringen, auch bei Ihnen eine Sehnsucht aus?
Dann empfehle ich Ihnen dieses Tagebuch des schottischen Antiquars Shaun Bythell, Inhaber von „The Bookshop“ in der Küstenkleinstadt Wigtown, der laut Verlag größten Secondhand-Buchhandlung des Landes.
In kurzweiligen Tages-notizen lässt er uns teilhaben an seinen menschlichen und kaufmännischen Erlebnissen. Ein engagierter Kollege, der auch Zeit findet zum Lachsangeln und nächtlichen Kneipengang.
Sie erfahren: Eine Menge über das Wohl und Weh im Buchhandel, über das (zunehmende) Angebot gebrauchter Bücher, den Schicksalen, die dahinter stehen. Aber auch über die Auswirkung der Marktmacht bekannter Onlinehändler. Der kleine Buchladen im Netzwerk des internationalen Handels, für den das Buch nur eines von vielen Produkten ist.
Kein Sachbuch, sondern – wie der Titel schon sagt – eben ein Tagebuch – absolut persönlich und wunderbar „very british“ oder genauer „very scotish“ geschrieben, wie wir es lieben, zum Schmunzeln und Schlauwerden.
Insel der verlorenen Erinnerung
von Yoko Ogawa
Aufbau Verlag
ISBN 978-3-95438-122-7
13 €
Auf einer namenlosen Insel vor dem japanischen Fest-land verschwinden nach und nach Dinge des alltäglichen Lebens. Es gehen Hüte, Spieluhren oder sogar Blumen und Tiere für immer verloren. Das Ungewöhnlichste daran ist aber: Die Bewohner der Insel nehmen diese Verluste einfach so hin. Sie zerstören die übrig-geblieben Gegenstände und vergessen das Verschwundene schnell.
Es gibt nur einige Wenige, die fähig sind, sich zu erinnern. Deshalb werden sie als Gefahr für das „System“ angesehen und gnadenlos von der „Erinnerungspolizei“ gejagt und deportiert. Die verschwundenen Dinge sollen für immer aus dem Leben und den Köpfen der Menschen ausgelöscht bleiben! Die Protagonistin, eine Schriftstellerin versucht sich gegen das System zu stellen. Sie versteckt ihren Verleger, dem die Festnahme droht und arbeitet unermüdlich an ihrem letzten Roman. Denn niemand weiß, ob nicht auch bald alle Bücher verschwinden werden.
Yoko Ogawas Bestseller ist eine faszinierende Parabel über den Verlust von Freiheit und die Bedeutung der eigenen Vergangenheit. Aktueller denn je!
Das Evangelium der Aale
von Patrik Svensson
dtv Verlag
ISBN 978-3-423-34994-9
12.90 €
auch als e- und Hörbuch erschienen
Patrick Svenssons fesselnder Debütroman, „Das Evangelium der Aale“ entführt uns in die Tiefen des Atlantiks zu einem rätselhaften Fisch und an die schwedische „Aalküste“. Der Vater brachte Svensson Junior, bei Aale zu fangen. Gemeinsam am Fluss stehend war die Nähe zueinander am stärksten spürbar. Svensson gelingt es in grandioser Weise seine eigene Biographie sowie die Suche des Menschen nach dem „Woher“ und „Wohin“ mit der Natur- und Kulturgeschichte des Aales zu verbinden. Es ist erstaunlich, wieviel der Aal uns über uns selbst beibringen kann: Ein Tier, über das wir immer noch ausgesprochen wenig wissen. Ein Tier, das so mysteriös ist, dass es schon Aristoteles faszinierte. Forscher entdeckten erst 1920, wo sich die Laich-gebiete befinden. Ein Tier, das sich am Ende seines Lebens auf eine 5000 km lange Reise zurück zu seinen Ursprüngen begibt. Jetzt ist der Aal vom Aussterben bedroht. Svensson stellt eindrücklich den Wider-spruch zwischen menschlichem Forscherdrang und Zerstörung von Lebensraum dar. Dass sich der Aal nicht züchten lässt, führt dazu, dass er für immer verschwindet und mit ihm ein Geheimnis der Welt. Ein Buch, an dessen Ende man den Aal ins Herz geschlossen haben wird und das anregt, über die Suche nach unserem „Woher“ nachzudenken.
Das Buch Ana
von Sue Monk Kidd
btb-Verlag
ISBN 978-3-442-75903-3
22 €
„Mein Name ist Ana, ich war die Frau von Jesus von Nazareth.“ So beginnt Anas faszinierende Geschichte. Ich bin kein Freund von historischen Romanen, überlasse diese gerne meinen KollegInnen, aber Anas Leben hat mich sofort in den Bann gezogen. Sie lebt in wohlhabenden Verhältnissen im römisch besetzten Galiläa und kann lesen und schreiben. Ein Privileg in einer von Männern dominierten Zeit, in der Frauen nur angepasst, unterwürfig und willig sein sollten. Die eigensinnige Ana rebelliert gegen diese Regeln, wehrt sich gegen eine Zwangsehe. Sie studiert die Tora, fertigt heimlich Schriften über die vergessenen Frauen in dieser an. Mit 14 Jahren begegnet sie dem Handwerker Jesus und verliebt sich. Beide spüren, dass der jeweils andere zu mehr berufen ist. Ana weiß, sie muss den Frauen eine Stimme verleihen. Sie muss eine Stimme sein. Dies ist eines dieser Bücher, die man selber lesen muss, da keine Rezension ihm wirklich gerecht werden kann.
Rote Kreuze
von Sasha Filipenko
Diogenes 2020
ISBN 978-3-257-07124-5
22 €
Sasha zieht im Jahr 2000 nach Minsk, nachdem sein Leben jäh entzweigerissen wurde. Seine neue Nachbarin ist Tatjana, 90 Jahre alt, zu Kriegszeiten Übersetzerin im Außenministerium. Kürzlich wurde bei ihr beginnende Demenz diagnostiziert. Aber ihr Langzeitgedächtnis funktioniert noch. Sie überfällt den anfangs nur widerwillig zuhörenden Sasha mit ihrer Lebensgeschichte, einer Biographie der Angst aus Sowjetzeiten. Sasha Filipenko legt den historischen Fokus seines Romans auf die Stalinzeit und die Kriegsgefangenenpolitik der Sowjetunion, die für Tatjana katastrophale Konsequenzen hat. Stalinistische Säuberungen, brutale Verhöre, GULAG – die Grausamkeit des Sowjetregimes ist hier auf 280 Seiten komprimiert. Der junge Autor, Jahrgang 1984, arbeitet auch als Journalist: Sein Buch hat einen eher berichtenden, schnörkellosen Tonfall. Es ist gut recherchiert und zitiert ausführlich aus Originaldokumenten. Rote Kreuze ist eine engagierte Kampfansage an das Verlieren, ja Auslöschen des historischen Gedächtnisses – eine Tendenz, die es heute nicht nur in Russland gibt.