von Sasha Filipenko
Diogenes 2020
ISBN 978-3-257-07124-5
22 €
Sasha zieht im Jahr 2000 nach Minsk, nachdem sein Leben jäh entzweigerissen wurde. Seine neue Nachbarin ist Tatjana, 90 Jahre alt, zu Kriegszeiten Übersetzerin im Außenministerium. Kürzlich wurde bei ihr beginnende Demenz diagnostiziert. Aber ihr Langzeitgedächtnis funktioniert noch. Sie überfällt den anfangs nur widerwillig zuhörenden Sasha mit ihrer Lebensgeschichte, einer Biographie der Angst aus Sowjetzeiten. Sasha Filipenko legt den historischen Fokus seines Romans auf die Stalinzeit und die Kriegsgefangenenpolitik der Sowjetunion, die für Tatjana katastrophale Konsequenzen hat. Stalinistische Säuberungen, brutale Verhöre, GULAG – die Grausamkeit des Sowjetregimes ist hier auf 280 Seiten komprimiert. Der junge Autor, Jahrgang 1984, arbeitet auch als Journalist: Sein Buch hat einen eher berichtenden, schnörkellosen Tonfall. Es ist gut recherchiert und zitiert ausführlich aus Originaldokumenten. Rote Kreuze ist eine engagierte Kampfansage an das Verlieren, ja Auslöschen des historischen Gedächtnisses – eine Tendenz, die es heute nicht nur in Russland gibt.